Sino-Japanische Rivalität in neuen Konflikträumen
Kontakt: Dr. Kai Schulze (kai.schulze@fu-berlin.de)
Das Forschungsprojekt untersucht die (re-)Konfiguration der räumlichen Dimension (spaces) der japanischen Außenpolitik sowie die damit einhergehenden Wechselwirkungen mit neuen wie auch bereits bestehenden Konfliktkonstellationen in ihrer zunehmend trans-/regionalen Verflechtung. War die japanische Außen- und Sicherheitspolitik bislang stark durch die Allianz mit den USA und die Sicherung der Handelswege und Rohstoffströme nach Japan geprägt, führen die wachsende Zweifel an der Zuverlässigkeit des amerikanischen Bündnispartners wie auch die Rivalität mit der Volksrepublik China zu einer auch räumlichen Neuorientierung der japanischen Sicherheitspolitik. Konkret wird das Projekt untersuchen, wie staatliche und nichtstaatliche Akteure (z.B. NGOs, Unternehmen) in für japanische Akteure bislang nicht oder kaum erschlossenen geografischen und politischen Räumen, z.B. in Zentralasien und Ostafrika mit lokalen Konfliktkonstellationen interagieren und wie sich dies auf die Gestaltung der japanischen Außenpolitik, auch im Hinblick auf Kooperationen mit anderen, z.B. europäischen Akteuren, auswirkt.
Durch die Neuorientierung der japanischen Außenbeziehungen, die sich vor allem durch das Leitmotiv „proactive contributions to peace“ sowie das neue Leitkonzept des „Free and Open Indo-Pacific“ (FOIP) ausdrückt, öffnet und (re-)konfiguriert Japan (neue) Räume (spaces) (vgl. Chojnacki/Engels 2016) für das eigene außenpolitische Handeln. FOIP sieht dabei einen strategischen Ausbau der Konnektivität Ostasiens über Süd(-ost) und Zentralasien und Afrika mit Europa vor. Somit treten verstärkt durch transnationale Konflikte belastete Räume des Globalen Südens – hier insbesondere die durch gewaltsame ethnische Konflikte und z.T. einen sehr geringen Grad staatlicher Ordnung (Grauzonen staatlicher Macht) geprägte Ostküste Afrikas sowie Gebiete Süd- und Zentralasiens – als neue Interessenschwerpunkte in den Fokus der japanischen Außenbeziehungen. Dies öffnet für Japan zwei miteinander verflochtene Konfliktkonstellationen.
So diffundieren insbesondere auf staatlicher Ebene die ursprünglich lediglich im bilateralen und regionalen Kontext Ostasiens sichtbaren Konfliktlinien zwischen Japan und China über den ostasiatischen Raum hinaus und formen dort das strategische außenpolitische Handeln Japans. Durch die Konkurrenzsituation zwischen dem japanischen Konnektivitätskonzept FOIP und der von China vorangetriebenen Belt and Road Initiative (BRI) verstärkt sich nun die Diffusion der sino-japanischen Konfliktkonstellation in die Regionen des konfliktbelasteten Globalen Südens. In diesen konkret-örtlichen Räumen (places) trifft die von Japan mitgebrachte Konfliktkonstellation auf verschiedene Konflikte vor Ort, die vor allem durch nichtstaatliche und hybride Konfliktgruppierungen geprägt sind. Insbesondere der Umgang mit nichtstaatlichen Konfliktakteuren erfordert dabei die Erarbeitung neuer Konfliktlösungsstrategien durch Japans politische Entscheidungsträger.
Da eine der Hauptsäulen der japanischen FOIP-Initiative die Förderung ökonomischer Prosperität und Kooperation beinhaltet, treten jedoch nicht nur staatliche Akteure Japans vermehrt in den oben genannten neuen Konflikträumen des Globalen Südens auf. Auch nichtstaatliche japanische Akteure wie international operierende NGOs und multinationale Unternehmen verstärken ihre physische Präsenz in den konfliktbelasteten Räumen des Globalen Südens. Dadurch steigen die Sicherheitsrisiken für die Mitarbeiter japanischer Unternehmen in diesen Konflikträumen insbesondere durch den unmittelbaren Kontakt zu transnational agierenden nichtstaatlichen Gewaltakteuren und eventuell durch kriminelle Netzwerke. Dabei kann es auch zu direkten Angriffen (etwa Terrorattacken o.Ä.) auf japanische Institutionen und Unternehmen kommen oder nichtstaatliche Akteure Japans werden zu „Kollateralschäden“ etwaiger gewaltsamer Auseinandersetzungen verfeindeter Konfliktparteien vor Ort. Der Umgang mit nichtstaatlichen Gewaltakteuren und die Gefährdung japanischer NGO- oder Unternehmensmitarbeiter ist daher bereits seit Mitte der 1990er Jahre, nach dem Terroranschlag und der Geiselnahme durch Rebellen des „Leuchtenden Pfades“ auf die japanische Botschaft in Lima, Peru, Teil der japanischen Anti-Terrorpolitik.
Da der japanische Staat u.a. wegen der Einschränkungen seiner sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit durch den sog. „Friedensartikel 9“ der japanischen Verfassung nicht selbst für die Sicherheit dieser japanischen nichtstaatlichen Akteure sorgen kann, müssen folglich Strategien entwickelt werden, die auf nichtstaatlicher Ebene die Sicherheit dieser Akteure in Konfliktgebieten erhöhen. Dies kreiert auf der einen Seite einen neuen Markt etwa für private japanische und internationale Sicherheitsfirmen und bewirkt andererseits eine zusätzliche Verschiebung der Konflikträume auf die nichtstaatliche Ebene. Diese Entwicklung erfordert folglich auch auf der nichtstaatlichen Ebene die Erarbeitung neuer Konfliktlösungs- und Konfliktvermeidungsstrategien japanischer Akteure.
Vor diesem Hintergrund wird das Projekt folgende Fragen analysieren: (1) Warum werden welche Räume in Japan diskursiv versicherheitlicht? (2) Welche Imaginationen dominieren den politischen Diskurs der staatlichen und nichtstaatlichen Entscheidungsträger Japans über die neu zu (re-)konfigurierenden und konfliktbeladenen Räume? (3) Welche Wechselwirkungen zwischen den neuen Konfliktdimensionen und Japans bereits gegebenen Konfliktkonstellationen sind erkennbar? (4) Welche Strategien der Konfliktvermeidung und/oder Konfliktlösung ergeben sich daraus für Japans staatliche und nichtstaatliche Akteure insbesondere bezüglich nichtstaatlicher Konfliktparteien in den konkret-örtlichen Räumen? (5) Welche konkreten politischen Handlungslogiken werden ergriffen und wie wirken diese auf die vorhandenen Konfliktkonstellationen? (6) Wie sind die japanischen Strategien in internationale Kooperationsnetzwerke mit Akteuren in Europa oder den USA, aber auch in Asien eingebettet?